1943: Kochrezepte aus der Gefangenschaft

5kochbuch_opa_gefangenschaftAls mein Opa in russischer Gefangenschaft war und Hunger seinen Tag und Nacht bestimmte, verfasste er 1943 ein Kochbuch.
Vor einigen Jahren schenkten mir meine Eltern seine Aufzeichnungen. Die Idee war daraus einmal ein Buch zu veröffentlichen… Dabei ist es bis jetzt geblieben. Als Erinnerung möchte ich nun in diesem Blog ab und zu alte Rezepte daraus veröffentlichen, damit sie nicht in Vergessenheit geraten.

 

Ich weiß leider zu wenig über die persönlichen Erlebnisse meines Opas aus der damaligen Zeit. Als er noch lebte, war ich zu jung, um zu verstehen. Auch meine Eltern konnten mir nicht viel berichten, da nach dem Krieg möglichst wenig bis gar nicht darüber gesprochen wurde. Es war die Zeit, wo vergessen werden wollte und der Blick nur nach vorn gerichtet wurde.

Mein Opa war Funker im Krieg. Wie und wo er in russische Gefangenschaft geraten ist, weiß ich nicht. Als Funker besaß er militärisches (Funker)Papier und Bleistift. Beides war im Krieg ein knappes Gut. Er hielt dies wie einen Schatz verwahrt, besonders auch seine Aufzeichnungen. Alles musste in der Gefangenschaft versteckt werden. Russische Soldaten hätten nicht gleich die schriftlichen Aufzeichnungen als Kochrezepte „enttarnen“ können, naheliegend wären zunächst Unterwanderung des Feindes und Spionage gewesen. Auch aus diesem Grund hielt er die Tatsache, dass er Funker war, zu seinem Schutz und Schutz seiner Mitgefangenen, geheim.3kochbuch_opa_gefangenschaft

Trotz dieses Risikos saßen die gefangenen Männer beisammen, hungerten und erzählten sich ihre leckersten Rezepte aus ihrer Heimat. „Warum tut man sich das an?“ – habe ich mich gefragt, als ich von der Existenz dieser Rezeptesammlung erfuhr. Sie hielten sich daran fest, berichteten meine Eltern aus den Erinnerungen meines Opas: Wenn sie endlich aus der Gefangenschaft befreit wurden und der Krieg vorbei war, wollten sie wie in alten, guten Zeiten kochen und genießen. So erzählten sie sich ihre Lieblingsrezepte und erzählten sich Geschichten aus ihrem Leben, wann, wo und wie sie die Speisen genoßen hatten… – aus einer guten Zeit. Somit wurde die Rezeptesammlung meines Opas ein Trost in ihrer Gefangenschaft und eine Ziel für die Zeit danach…4kochbuch_opa_gefangenschaft

Wenn ich heute die Sammlung entblättere, strömt mir ein Geruch von altem Papier entgegen. Bei ehrfürchtigem Tasten der alten Blätter, stelle ich mir vor, wie mein Opa diese Seiten eine lange Zeit bei sich getragen haben musste. Die Seiten sind vergilbt. Anfangs sind die Notizen großzügig mit normaler Schriftgröße – wenn auch doppelseitig – verfasst. Mit der Zeit wird die Schrift immer kleiner, kaum lesbar. Ich vermute, dass mein Opa zunächst nicht mit so einer langen Gefangenschaft gerechnet hatte. Zum Ende seiner Aufzeichnungen wurde jedes Eckchen Papier akkurat und absolut effizient beschriftet. In kleinster Schrift wurden mit Bleistift Rezepte hinzugefügt. Oftmals enthalten die Rezepte nur Angaben der Zutaten, vermutlich um Platz zu sparen.
Langsam fangen die Bleistift-Notizen mit den vergilbten Blättern zu verschmelzen.
Allerhöchste Zeit die Rezepte (teilweise) zu entziffern und zu tippen, damit sie erhalten bleiben:

Hoppelpoppel
Kartoffeln, Zwiebel, Fleischwurst oder Schinken in der Pfanne zusammen anbraten, mit Eier übergießen, stocken lassen.

Kartoffelgulasch
Kartoffelgulasch wird in einer Pfanne zubereitet und zwar immer mit gleichen teilen; z.B. 1 kg Kartoffeln, 1 kg Zwiebeln. Die Kartoffeln werden geschält und im rohem Zustand in Würfel geschnitten. Nun werden die Zwiebeln mit den Kartoffelwürfeln in Fett oder Öl geröstet. Soweit dies möglich ist, gibt man etwas Kümmel und reichlich Papika dazu. Dann alles mit Wasser übergießen und lange köcheln lassen. Wenn man hat, kann man noch etwas Rindfleisch hinzufügen. Auch in kleine Würfel schneiden. Speckwürfelchen gehen auch. In einem tiefem Teller serviert schmeckt es bestens.

Klumpatsch
Rohe Haferflocken, Milch, Zucker, Kakao, Rosinen, geriebene Äpfel zu einem Brei verrühren und dann 10 Minuten stehen lassen.

Polnischer Salat (schlesisch)
Feste Salatkartoffeln in kleine Würfel schneiden (lauwarm), dazu durch den Wolf gedrehte Salzheringe, harte Bratwurst geschnitten, Gurkensäure, Pfeffer, Salz, Zwiebeln, Essig und Öl, Mayonnaise, zerlassenen Speck unter die Kartoffeln rühren.

Sahnekaramellen
Zucker, Butter, Milch und Sahne in die Pfanne. Bei andauerndem Rühren kochen. Wenn es dickflüssig wird auf eine gefettete Platte schütten. (Als Sahne kann auch Kondensmilch verwendet werden).

Es finden sich noch viele weitere Rezepte u.a. zu diversen Kloß-Arten, Kuchen und auch Likören (da besonders viele Rezepte). Diese und zu weiteren Rezepten werde ich in kommenden Blogartikeln ab und an berichten.

 

 

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6 Kommentare

  1. Es ist so schade, daß in garnicht allzulanger Zeit, wenn die „Kriegsgeneration“ verstorben ist auch vieles aus der Zeit unwiederbringlich verloren geht. Umso besser, wenn es schriftliche Hinterlassenschaften gibt. Die haben schon mehr Zeit überdauert als manche Datei auf irgendeinem Computer. Meine Großeltern haben noch in Altdeutscher Schrift geschrieben, so daß ich mir Post u.ä. immer vorlesen lassen mußte, bis ich es dann irgendwann selbst entziffern konnte :-).

    LG
    Michael

  2. Super Idee, das im Blog zu verarbeiten. Bin ohnehin dafür, Vieles aus dieser Zeit und gerade die vermeintlich kleinen Alltagsgeschichten festzuhalten. Kann wirklich nicht schaden, sich bei Gelegenheit daran zu erinnern.

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