Wo man im Münsterland so richtig blau machen und auf die Glocke hauen kann

Das worauf Oma und Opa schwörten kann doch nicht schlecht sein, oder? Retro ist wieder in, Heimatliebe voll im Trend. Traditionen wieder zu entdecken, kann richtig spannend sein! Im Münsterland gibt es nicht nur schöne Landschaften, Wildpferde, Schlösser und Burgen, sondern eine ganz besondere Liebe zum heimischen Brauchtum. Zwei Ausflugsziele, die etwas anders sind, haben mir in Westfalen besonders gut gefallen:

Das „blaue Wunder“ von Nottuln

Was haben der Blaue Montag und die Redewendung einfach mal blau machen mit Nottuln im Münsterland zu tun? Wie viele Geheimnisse findet sich die Lösung in der Vergangenheit. Bei einem Spaziergang durch Nottuln fühlt es sich schon so an, als ob die Zeit stehen geblieben wäre. Im 9. Jahrhundert entstand hier ein Kanonissenstift und zugehörige Stiftskirche thront heute noch dominant in der Mitte des kleinen Bilderbuchdorfes. Vorbei an den Ortsschildern France und Polska erreiche ich über Kopfsteinpflaster über eine kleine Gasse eine alte Gaststätte. Etwas dahinter versteckt finde ich Dirk Kentrup und mit ihm Antworten auf meine Fragen.

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Dirk ist Besitzer der ältesten Blaudruckerei des Münsterlandes. Seit fast 200 Jahren praktiziert seine Familie in Nottuln das Blaudruckereigewerbe. Über eine Stiege erreiche ich das Atelier des Künstlers. Ich denke, so kann man ihn bezeichnen, denn was er zaubert sind alles Unikate mit viel Liebe zu Design, Naturstoff und Design. Hier wird westfälische Handwerkskunst gelebt. Während wir uns unterhalten erfahre ich viel Wissenswertes zum Traditionshandwerk des Blaudruckers und darf ihm bei seiner Arbeit über die Schulter schauen. In rascher Abfolge wird ein überdimensionales Stempelkissen mit Farbe bestrichen, ein alter Druckstock mit Farbe versorgt und flink auf den ausgebreiteten Stoff platziert. Mit geübten Hammerschlägen drückt er den Stempel tiefer in den Stoff, um so gleich wieder erneut Farbe für den nächsten Druck aufzubereiten.

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Der blaue Montag war bei Färbern ein Bestandteil seiner Arbeitsabläufe. Montags wurde der Stoff in ein Färbebad gelegt, aus dem Bad genommen und an der Luft getrocknet. Indigo oxidiert durch Sonnenlicht und Sauerstoff. Erst dadurch wird der Farbton blau. Zwischen den einzelnen Färbeschritten hatte der Färbergeselle auch mal nichts zu tun, musste warten bis die Stoffe fertig waren – quasi konnte er in alle Ruhe mal blau machen!
Übrigens, noch eine Redewendung hat in diesem Handwerk seinen Ursprung: Grün und blau schlagen heißt eigentlich den an der Luft oxidierenden Färbevorgang zu beschleunigen. Schlugen Färber damals mit Holzlatten auf die Stoffbahnen ein, erhöhte sich der Sauerstoffanteil im Gewebe und wechselte schneller seine Farbe von grün zu blau. Hättet Ihr das gewusst?

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Dirk Kentrup ist stolz auf seinen traditionsreichen Familienbetrieb und mit Herz und Seele dabei. In einem gesonderten Raum darf ich die über 500 alten Druckstöcke bewundern. Viele Motive und Muster sind über Generationen überliefert und bis heute noch unverändert erhalten geblieben. Ich bin überrascht, dass die Stempel nicht weich sind. Alte, besondere Holzarten sind eher wie ein Nagelbrett gestaltet.

Die Gaststätte vor der Blaudruckerei mit Nähe zur Kirche ist kein Zufallsstandort, verrät mir Dirk mit einem Augenzwinkern. Früher stank der Blaue Montag bis zum Himmel. Der damals wichtigste Farbstoff Indigo benötigte reichlich menschlichen Urin, um den chemischen Färbeablauf in Gang zu bringen. In alten Überlieferungen ist vermerkt, dass die Farbe besonders gut wird mit dem Urin von Männern, die viel Alkohol getrunken haben. Die vorgelagerte Gaststätte gehört seit 1833 auch zum Familienunternehmen. Hier wurde der Harnstoff aufgefangen und gleich weiter verarbeitet. Damals natürlich und nicht mehr heute, versichert mir Dirk mit einem erneutem Augenzwinkern.

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Aufgrund der Verfeinerung der Farbtechniken und Druckverfahren können inzwischen heute viel mehr Farben mit traditionellem Vorgang verwendet werden. Die Rezepturen sind in der 7. Generation streng gehütete Familiengeheimnisse. Führungen zum Direktdruckverfahren und Reservedruck geben aber viele Einblicke in die westfälische Handwerkskunst und so ganz nebenbei erfährt man viel über den Wandel der Zeit.
Im kleinen Laden unter der Manufaktur kann man die allesamt aus reinen Naturstoff handgefertigten Stücke kaufen. Bei Kentrup wird auch alles selbst genäht. Natürlich kann ich nicht widerstehen und kaufe Erinnerungsstücke und Mitbringsel ein – in indigoblau versteht sich ;-)

 

So klingt und schwingt es im Münsterland

Was soll schon an Glocken spannend sein? Mitmachmuseum steht auf der Internetseite des Westfälischen Glockenmuseums. Das wiederum machte mich neugierig und animierte mich zu einem Besuch in Gescher.
Auf den ersten Blick sehe ich auch nur eines: Glocken. Fast wäre ich an der Schauausstellung vorbei gesaust, wäre da nicht die nette Museumsmitarbeiterin, die mich an einem Sonntag Morgen mit freundlichem Lächeln begrüßte und mir mit vollem Engagement eine kurze Sonderführung und Tipps gab, worauf ich bei meinem Rundgang achten solle – und da gibt es viele spannende Entdeckungen.

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Die ersten Glocken glichen Kuhschellen und wurden aus Blech geschmiedet. Im Mittelalter wurden klangvollere Glocken entwickelt und findige Menschen goßen mit Bienenkörben die ersten Glocken. Nach oben hin offen sollte der göttliche Klang den Himmel erreichen.

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Einblicke in eine Glockengießerei zu den einzelnen Arbeitsschritten wie sie auch heute noch hergestellt werden, erfährt man in der Glockengrube des Museums.

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Täglich hört man Glocken in Kirchen läuten. Für mich hören sie sich alle gleich an. In Gescher habe ich gelernt, dass eine einzelne Glocke nicht nur einen Ton erzeugt, sondern verschiedene, auf sich abgestimmte Töne, wie in einer Sinfonie. Ganz so harmonisch klingt es im Museum aber nicht. Hier darf nämlich gebimmelt und gebammelt werden. Auch wenn hier am frühen Morgen nur wenige Besucher sind, erklingen Glockentöne aus jeder Ecke. Da kommt schon einiges an Kirchengeläut zusammen. Wach war ich jetzt auf jeden Fall – und bereit selbst einmal den Hammer oder am Klöppel zu schlagen.

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Das Anschlagen einer Glocke ist Kunst, das kann nicht jeder. Also jeder kann es, aber ob es gut klingt, das ist wieder eine andere Sache. Die Technik des Läutens macht den Ton oder wenn man so will die Musik. Das kräftige Läuten zur Sonntagsmesse klingt anders als das sanfte „Kleppen“, wie der Fachmann das Läuten  für einen Verstorbenen nennt. Früher wurde sogar über eine besondere Abfolge und Anzahl dieses Glockenläutens das Alter und Stand des Verstorbenen an die Gemeinde vermittelt.westfaelisches_glockenmuseum-2470

Habt Ihr schon mal Töne sehen können? Genauer hinschauen ermöglicht, neue Welten zu entdecken. In Gescher gibt es im Musikraum ein anschauliches Beispiel und erfordert viel Kraft – und in meinem Fall auch Geduld. Die Glocke mit der rechten Hand so fest zu schlagen, dass das Wasser die Schwingungen der Töne zeigt und zeitgleich mit der linken Hand dabei unverwackelte Bilder zu machen, ist nicht ganz einfach. Aber Spaß macht hat es. Wie ein Kind probiere ich jede Station aus und erfreue mich an den selbstproduzierten Klängen. Man hätte mir damals keine Blechtrommel schenken dürfen…

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Glocken hatten zu Kriegszeiten eine ganz besondere Bedeutung. Viele Glocken wurden abgebaut, an einem Platz gesammelt und im großem Stil eingeschmolzen. Das gewonnene Material diente zur Herstellung von Kriegsgeräten. Viele Menschen wollten das damals vermeiden und vergruben ihre Kirchenglocke tief unter der Erde am geheimen Ort. Übrigens mit ein Grund, warum im Glockenmuseum so viele alte Glocken ausgestellt werden können. Manchmal überlebten die Menschen nicht, die das Versteck kannten und so kommt es auch heute noch gelegentlich zu einem ungewöhnlichem Glockenpfund aus dem Erdreich.

In Kriegszeiten wurden Zahlen und Nummern auf den Glocken notiert. Die Zahl gab die Reihenfolge an, in der die Glocken eingeschmolzen werden sollten. Buchstaben kennzeichneten die Güte der Glocke. A-Glocken beispielsweise sollten aufgehoben und erst ganz zum Schluss verflüssigt werden, weil sie als besonders kunst- oder wertvoll eingestuft wurden.
Ein Besuch im Westfälischen Glockenmuseum macht nicht nur Spaß, man lernt eine Menge über Zeitgeschichte und Traditionen. Auch für Kinder ein schönes Ausflugsziel.

Offenlegung: Meine Reise ins Münsterland wurde unterstützt von Tourismus NRW e.V. im Rahmen des Projektes Tanjas bunte Tüte und Dülmen Marketing e.V. Lieben Dank dafür. Meine Meinung bleibt wie immer die eigene.
Wenn Ihr mehr zu Ausflugszielen und Reisetipps zu NRW lesen wollt, folgt im Socialweb dem Hashtag #DeinNRW und natürlich hier im Blog dem NRW-Link.

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3 Kommentare

  1. Klasse! Durch Zufall hier gelandet, wegen der Glocken hängengeblieben, Du hast einen neuen Fan! Viel Spaß weiterhin beim schönen Reisen – viele Grüße aus Münster!

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