Grotten di Castellana – Apuliens Wunder unter der Erde

Wie wäre es, für einen Moment die Welt an der Oberfläche zu vergessen und tief in eine verborgene, zauberhafte Welt einzutauchen? Genau das erlebe ich bei meinem Besuch in den faszinierenden Grotten von Castellana in Apulien. Zwischen bizarren Stalaktiten und geheimnisvollen Schatten öffnet sich ein Labyrinth, das die Natur in Millionen von Jahren geformt hat. Doch was verbirgt sich wirklich in diesen Höhlen?

Der Abstieg in die Grotten beginnt mit beeindruckenden Steintreppen.

Der Abstieg in die Grotten beginnt mit beeindruckenden Steintreppen.

Ausflug in die Unterwelt: Geschichte und Entdeckung

Treppen ins Unendliche, so kommt es mir vor. Mit jedem Schritt, der mich tiefer unter die Erde führt, wird die Luft kühler und feuchter. Die Grotten von Castellana sind mit über 3 Kilometern Gängen eines der größten unterirdischen Karstsysteme Italiens und ziehen jedes Jahr zahlreiche Besucher an. Ihr Eingang, die gewaltige Höhlenkammer La Grave, die größte und zugleich Eingangshöhle, galt als Tor zur Hölle, aus dem nachts die Seelen der Verdammten emporstiegen. Im Laufe der Jahrhunderte geriet sie in Vergessenheit und diente den Einheimischen als Müllhalde. Jahrhundertelang warfen die Bauern Abfälle und Kadaver in das scheinbar bodenlose Loch – bis sich 1938 der Höhlenforscher Franco Anelli mit seinem Team an die Erforschung der Grotten wagte. Doch der Einstieg war alles andere als einfach: Die Forscher mussten sich erst durch einen Berg von verwesendem Material arbeiten, bevor sie das weit verzweigte Höhlensystem betreten konnten.
Heute ist La Grave der beeindruckende Eingang zu einer unterirdischen Märchenwelt. Die Sonnenstrahlen fallen durch die natürliche Öffnung und tauchen die Stalaktiten und Stalagmiten in ein außergewöhnliches Licht. Doch mit jedem Schritt in die Dunkelheit verändert sich die Atmosphäre – es wird kühler, feuchter, stiller. In einer maximalen Tiefe von über 120 Metern erwärmt sich die Erde unter der apulischen Sonne auf maximal 16 Grad.

Magische Lichtspiele: Die Sonnenstrahlen tauchen die Höhlen in mystische Farben.

Magische Lichtspiele: Die Sonnenstrahlen tauchen die Höhlen in mystische Farben.

Eine Zeitreise unter der Erde: Die Grotten von Castellana sind ein Naturwunder.

Eine Zeitreise unter der Erde: Die Grotten von Castellana sind ein Naturwunder.

Ein Mann mit Mut – Franco Anelli wagte sich 1938 als Erster in das unbekannte Höhlensystem.

Ein Mann mit Mut – Franco Anelli wagte sich 1938 als Erster in das unbekannte Höhlensystem.

Zeitreise in Stein: Geologie und Entstehung

Apulien, vor etwa 100 Millionen Jahren: Ein urzeitliches Meer bedeckte das Gebiet, das wir heute als italienisches Festland kennen. In dieser Unterwasserwelt, in den Tiefen des Ozeans, beginnt die Geschichte der Grotten von Castellana. Im Laufe von Millionen von Jahren sammelten sich die Überreste von Meerestieren – Muscheln, Korallen, winzige Skelette – am Meeresgrund an. Schicht um Schicht entstand so der Kalkstein von Altamura, das massive Fundament, auf dem später die Region Apulien ruhen sollte.
Doch die Erde ist in Bewegung. Tektonische Kräfte heben das Land, Apulien taucht aus den Fluten auf. Und nun kommt das Wasser ins Spiel – nicht als zerstörerische Flut, sondern als sanfter, aber beharrlicher Künstler. Regenwasser, vom Kohlendioxid der Luft leicht angesäuert, sickert durch feine Risse und Spalten in den Kalkstein.
Was dann geschieht, ist pure Chemie: Langsam, aber unaufhaltsam löst das saure Wasser den Kalkstein auf. Ein unterirdisches Reich entsteht, ein Labyrinth aus Gängen, Hallen und Kammern. Die Größe ist faszinierend. Während wir mit unserem versierten Gebeco-Führer Claudio durch die engen Höhlengänge laufen, entdecken wir die Details: die filigranen Stalaktiten, die wie steinerne Vorhänge von der Decke hängen, und die massiven Stalagmiten, die ihnen vom Boden entgegenstreben. Ich staune, wie die Natur dieses Stück Erde geformt hat. Wie lange dauert so eine Entstehung? Ein paar Millimeter in hundert Jahren. Es ist ein stilles Wachstum wie ein Flüstern der Erdgeschichte.
Die Höhlen von Castellana sind ein geologisches Phänomen mit einem Farbenspiel, bei dem die Natur die beste Künstlerin ist: Im Wasser gelöste Mineralien wie Calcit und Hydroxylapatit lagern sich ab. Eisenoxid verleiht den Höhlenwänden und -formationen ein faszinierendes Farbspektrum, das von reinem Weiß über sanfte Rottöne bis hin zu tiefem Schwarz reicht.

Früher Müllhalde, heute Weltwunder: Die unglaubliche Entdeckungsgeschichte.

Früher Müllhalde, heute Weltwunder: Die unglaubliche Entdeckungsgeschichte.

Unterirdische Poesie

Italiener gelten als Meister der Sprache mit einem besonderen Sinn für Poesie und Schönheit im Detail. Diese Ästhetik spüre ich deutlich in den Höhlen, während Claudio uns beschreibt, was wir gemeinsam entdecken. Wenn man diese Höhlen betritt und ihre geologische Entstehung versteht, entdeckt man nicht nur Gesteinsformationen, sondern eine Art unterirdische Erzählung, die von der Natur selbst inszeniert wurde. Jede Formation scheint ihre eigene Persönlichkeit zu haben, ihre eigene kleine Geschichte zu erzählen.

  • Die Grotta Bianca ist einer der Höhepunkte der Grotten von Castellana.
    Ihre Formationen schimmern im Licht wie frisch gefallener Schnee. Sie gilt als eine der schönsten Grotten der Welt.
  • Italienische Wahrzeichen in Miniatur: Ein Schmunzeln ist garantiert, wenn man die Formationen entdeckt, die an den „Mailänder Dom“ und den „Schiefen Turm von Pisa“ erinnern. Es ist erstaunlich, mit welcher Präzision das Wasser den Stein zu diesen berühmten Silhouetten geformt hat.
  • Mit etwas Phantasie kann man bei einer weiteren Formation die berühmte römische Wölfin erkennen. Solche zufälligen Ähnlichkeiten sind typisch für Karsthöhlen und regen die Phantasie an.
  • Der Korridor der Wüste ist ein Labyrinth aus Tropfsteinen. Dieser Teil der Höhle ist ein eindrucksvolles Beispiel für die Dichte und Vielfalt der Tropfsteinformationen. Stalaktiten und Stalagmiten stehen hier so dicht beieinander, dass der Eindruck eines versteinerten Waldes entsteht. Ein besonderes Detail sind die „Höhlenspaghetti“ – dünne, durchscheinende Aragonitfäden, die von der Decke hängen.
Tropfen für Tropfen – das stille Wachstum der Stalaktiten dauert Jahrhunderte.

Tropfen für Tropfen – das stille Wachstum der Stalaktiten dauert Jahrhunderte.

Tipps für deinen Besuch

  • Website: Grotte di castellana (auf Deutsch)
  • Kleidung: Die Temperatur in den Höhlen liegt höchstens bei 16–18°C, daher ist eine leichte Jacke empfehlenswert. Die Gänge können rutschig sein – festes Schuhwerk ist ein Muss!
  • Tourenwahl:
    Kurze Tour (1 km, ca. 50 Minuten): Geeignet für alle, die sich einen schnellen Überblick verschaffen möchten.
    Lange Tour (3 km, ca. 2 Stunden): Führt bis zur spektakulären Grotta Bianca – für alle, die das volle Erlebnis wollen.
    Sprachen: Führungen sind auf Italienisch, Englisch und Deutsch verfügbar (letztere von April bis September um 11 und 16 Uhr).
  • 100% barrierefreie Grotten: Auch Menschen mit Behinderungen können die Grotten von Castellana genießen. Spezielle Wege, ein Aufzug zu der Hauptgrotte und technische Hilfsmittel garantieren ein sicheres und emotionales Erlebnis für alle Besucher. (Führungen für Gehbehinderte nur auf Anmeldung, daher vorher bitte hier ankündigen: Telefon: +39 080.499.82.21 oder per Mail: segreteria@grottedicastellana.it)

Fotogalerie

Offenlegung: Meine Recherchereise durch Apulien wurde von Gebeco Gesellschaft für internationale Begegnung und Cooperation mbH & Co. KG unterstützt – ganz herzlichen Dank dafür! Der Inhalt dieses Artikels ist natürlich davon unbeeinflusst und spiegelt meine eigene Meinung wider. Für den Beitrag erhielt ich kein Honorar.

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