Mit dem Koffer kämpfe ich mich durch die Menschenmenge dem Strom entgegen. Ich entdecke einen leeren Stuhl bei den begehrten Sitzplätzen. Die Kunst besteht jetzt darin, zielstrebig den Tisch anzusteuern und dabei keinem die Füße mit dem sperrigen Koffer abzufahren. Lächeln hilft. Es ist laut. Geschirr klappert, die Kaffeemaschine surrt geräuschvoll, Stimmengewirr. Um mich herum lachen, reden und gestikulieren Menschen wild durcheinander. Ich verstehe gar nichts und fühle mich pudelwohl. Ein typischer Sonntag Morgen in den Markthallen von Paul Bocuse.
Franzosen lieben nicht nur gutes Essen sondern auch Geselligkeit. Wir rücken enger zusammen, als sich Freundesnachschub dem Nachbartisch nähert. Ein großes Hallo und Küsserei, unterdessen bestelle ich mir einen Café au Lait. Der Kellner schleppt Unmengen an Kaffee für meinen Nachbartisch an, dabei wird schwatzend begonnen, vorher getätigte Einkäufe auf den Tisch zu platzieren. In den aufgerissenen Tüten entdecke ich feinste Backwaren vom Stand gegenüber: Brioche und Tarte de Praline. Das die Leckereien nicht vom Café sind und hier selbst Sandwiches angeboten werden, scheint keinen zu interessieren. Die Franzosen ticken anders und eine “Draußen-nur-Kännchen”-Mentalität ist im Gegensatz zu uns in Deutschland nicht bekannt. Wieder schleppt der Kellner eine Runde Espressi zur geselligen Runde und stimmt in das lachende Geplauder der Lyoner ein. Ich genieße solche Momente: Fremdes Land, andere Lebensart, spannendes Lebensgefühl.
Das Treiben, das in den Markthallen von Paul Bocuse herrscht, ist ansteckend. Dabei darf man sich die Hallen nicht wie beispielsweise den Naschmarkt in Wien vorstellen. Von außen wirken die Hallen von Paul Bocuse mit dem Flachbau eher unscheinbar, eher wie ein Bürohaus. Auf der Hauswand gegenüber strahlt als Wandmalerei der Meister persönlich. Öffnet man die Türen, steht man mitten in einem Kulinarik-Tempel der Extraklasse, der – wie ich feststelle – keine Touristenattraktion ist sondern von Einheimischen besonders geliebt und geschätzt wird. In der lukullischen Schatzhöhle Lyons kaufen Einheimische für ihr Essen zu Hause als auch Köche der Restaurants für ihre Gerichte ein. Nicht umsonst werden die Markthallen auch der Bauch von Lyon genannt.
In drei Alleen bieten rund 60 Händler ihre Waren an. Alles sind außergewöhnliche Anbieter oder Hersteller mit kleinen und feinen Manufakturen. Ich flaniere durch die Reihen. Frische Austern aus der Bretagne sind appetitlich in der Auslage arrangiert. Ich muss an Béa und meine Reise in die Bretagne denken, lächle bei diesen Erinnerungen und bestelle drei Austern mit einem Glas Wein.
Die Markthallen von Paul Bocuse sind nicht nur zum Shoppen da. Viele Manufakturen bieten auch Genuss zum direkten Verzehr an. Geduldig warten Besucher wie ich sehnsüchtig auf die frische Ware. Es herrscht eine geschäftige Atmosphäre: Da werden Austern geöffnet und servierfertig gemacht, Fisch wird filetiert, Seeigel zubereitet und die leckersten Käsesorten, ausgefallene Fische sowie feine Fleischstücke in der Theke drapiert. Lokale Produkte sind Trumpf. Überall riecht es frisch und die Atmosphäre ist einzigartig.
Ich flaniere weiter durch die Genussmeile, entdecke Käsetheken, wo wir in Deutschland nur träumen können! Saint-Nectaire und Cantal – meine Lieblingssorten aus der Auvergne – entdecke ich sofort. Beherzt kaufe ich große Stücke. Dazu lockt mich ein echter Camembert aus der Normandie. Wer den einmal probiert hat, wird nie mehr wieder einen Camembert essen wollen, der bei uns in der Kühltheke angeboten wird. Alles verstaue ich im Koffer. Dachte, da ist der Käse für die Geruchsentwicklung am besten aufgehoben. Das sollte allerdings nicht helfen. Mit einem eindringlichem Blick aus Unglauben, gerümpfter Nase und Lachen in den Augen fragt mich später die Dame beim Checkin, ob ich auch wirklich nur im Koffer und nicht im Handgepäck Käse exportiere. Mein hektisches Nicken deutet sie als Erlösung und schickte den Koffer schnell weiter zur Abfertigung – einen intensiven Käseduft hinter sich herziehend. Für guten Geschmack und gute Qualität muss man halt Opfer bringen, oder?
Beim Bäcker in der vorderen Allee stehen sie Schlange. Wo viele Menschen weilen, muss es gut schmecken. Ich stelle mich hinten an und bin neugierig, was sich in der Patisserie für ein Angebot eröffnet. Zu schnell bin ich an der Reihe und sprachlos, als ich meine Bestellung aufgeben soll. “Drei Baguette”, bestelle ich spontan und wundere mich über mich selbst. Hier gibt es die feinsten Törtchen und Küchlein und ich bestelle Baguette! Ich war diejenige, die abends mit drei Stangen Baguette unter dem Arm beim Boarding stand und von den Mitreisenden belächelt wurde. Aber mal ehrlich: Gibt es solch leckere französischen Baguettes bei uns? Nein! Der Genuss zu Hause mit den ausgesuchten Käsesorten und Wein war ein besonderes Fest!
Am Patisseriestand in Lyon kaufe ich zudem noch so viel Brioche und Küchlein, wie in meinen Rucksack passt. Vollbepackt schlurfe ich Richtung Ausgang und bedaure sehr, nicht noch mehr Platz im Koffer gelassen zu haben.
Von der Ferne sehe ich sie vor dem Ausgang funkeln: Macarons in prachtvollen Farben. Eigentlich zu schade, um sie zu essen. Aber die Milde und Weichheit mit der knusprigen Ummantelung ist jedes Mal wieder ein Hochgenuss. Die französische Patisserie ist mein Verderben. Da komme ich nie vorbei. “Alles Mitbringsel für Papa”, versuche ich mein kalorienbewussten inneren Aufschrei zu beruhigen. Ich bin immer wieder überrascht, wie gut das mit dem Selbstbelügen klappt…
Mit meinen prall gefüllten Taschen bin ich nicht allein. Lyoner und Touristen haben sich gleichermaßen verführen lassen. Praktisch ist übrigens, dass die Hallen von Paul Bocuse mit den öffentlichen Verkehrsmitteln sehr günstig liegen und der Rhône-Express mit Flughafenanschluss flott zu erreichen ist. Nach einer wundervollen fünftägigen Flusskreuzfahrt auf der A-Rosa auf der Rhône war der Markthallenbesuch genau der richtige Abschluss. Gut, dass ich den Besuch nicht an den Anfang meiner Reise geplant hatte. Auf dem Schiff hätte ich bei dem Käseduft neben mir aus dem Koffer sicher die rote Karte erhalten.
Ob zum Verweilen, Staunen, Erkunden, Kosten, Genießen – die Markthallen von Lyon sind ein besonderer Ausflug – nicht nur für Kulinarikfans.
Les Halles de Lyon Paul Bocuse
www.halles-de-lyon-paulbocuse.com
Anschrift:
102 cours Lafayette Part-Dieu,
69003 Lyon, Frankreich
Telefonnummer: +33 (0)478603282
Offenlegung: Meine Reise wurde unterstützt von A-Rosa Flusskreuzfahrten. Herzlichen Dank dafür. Für diese Veröffentlichung wurde weder meine Meinung beeinflusst, noch habe ich Honorar dafür erhalten. Die Begeisterung kam von alleine. Danke an A-Rosa und die Crew – es war für mich eine wunderschöne Reise!
Die Beschreibung des geschäftigen Sonntags in den Markthallen von Paul Bocuse ist lebendig und einladend! Es ist faszinierend, wie du die Atmosphäre einfängst, während du durch die Menschenmenge navigierst. Es zeigt, wie wichtig nicht nur das Essen, sondern auch die Gemeinschaft für die Franzosen ist. Ich bin neugierig, was du dir bestellt hast – das wird sicherlich ein Genuss!
Von Jedem etwas ;-)
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Hallo Tanja, ich musste gerade so lachen, denn die Käsegeschichte erinnert mich an unseren Besuch im vergangenen Jahr in der Attahoehle. Dort gab es leckeren Höhlenkäse, den wir natürlich auch gekauft haben . Käse in die Tasche, eine schöne Rundfahrt auf der Bigge und da schon duftete aus meiner Tasche. Auf der Rückreise mit dem Bus von unserem Tagesausflug mahnte mein Mann, das ich nur ja die Tasche nicht mehr aufmachen dürfe wg. der „Geruchsbelästigung“. Der Käse war eingeschweißt, aber😉und er hat uns am nächsten Tag lecker geschmeckt. Also mach Dir für das nächste Mal keinen Kopf, Du bist nicht allein mit dem „Problem“ 😂 Liebe Grüße und alles Gute für das neue Jahr von Christiane
Beruhigend, dass mir so was nicht immer alleine passiert ;-)